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Absolute Musik vs. Programmmusik - wie aktuell ist die Debatte des 19. Jahrhunderts?

Inhaltsverzeichnis

Debatte absolute Musik und Programmmusik: Können Noten mehr sagen?
Debatte absolute Musik und Programmmusik: Können Noten mehr sagen?
Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Musik eine Aussage hat, die über rein musikalische Aspekte hinausgeht? Im 19. Jahrhundert ist über genau diese Frage unter Komponisten und Musiktheoretikern ein Streit entbrannt. Während die eine Seite die Meinung vertrat, dass Musik für sich selbst spreche, sprach sich die andere Seite für eine programmatische Musik mit außermusikalischem Inhalt aus. Erfahren Sie hier mehr zu der Debatte um Absolute Musik und Programmmusik. Finden Sie sich vielleicht auf einer der beiden Seiten wieder oder vertreten Sie eine andere Meinung?

Absolute Musik - was ist das?

  • Hinter dem Begriff der "Absoluten Musik" verbirgt sich der Anspruch, dass Musik für sich selbst sprechen kann und keine außermusikalischen Inhalte benötigt. Meist zählen hierzu die traditionellen Gattungen der Instrumentalmusik, z.B. Sonaten, Sinfonien oder Streichquartette. Vokalkompositionen gehören nicht dazu, da sie dem Hörer schon durch den Text einen außermusikalischen Inhalt suggerieren.
  • Zu den berühmtesten Vertretern der Absoluten Musik gehören die Komponisten Robert Schumann und Johannes Brahms. Besonders vehement hat jedoch der Musikkritiker Eduard Hanslick seinen Standpunkt der Absoluten Musik verfochten.
  • Laut Hanslicks Schrift "Vom Musikalisch-Schönen" (1854) besteht das Musikalisch-Schöne nicht darin, dass Sie der Musik zusätzliche Inhalte aufsetzen. Vielmehr sei die Musik in der Lage, für sich selbst zu sprechen. Die Idee der "Absoluten Musik" ist für ihn demnach das höchste Qualitätsurteil, das Musik erreichen kann. Eine Musik dagegen, die abhängig ist von außermusikalischen Inhalten oder Programmen, ist für ihn minderwertig.
  • Vor diesem Hintergrund fragen Sie sich vielleicht, ob Vertreter der Absoluten Musik sämtliche Bedeutung in der Musik grundsätzlich leugnen. Dies ist keineswegs der Fall, doch müssen Sie hier unterscheiden zwischen außermusikalischer und innermusikalischer Bedeutung.
  • In einem seiner berühmtesten Zitate äußert sich Eduard Hanslick folgendermaßen: "In der Musik ist Sinn und Folge, aber musikalische; sie ist eine Sprache, die wir sprechen und verstehen, jedoch zu übersetzen nicht im Stande sind."
  • Was Hanslick mit musikalischem Sinn meint, ist also das, was die Noten zu einer Einheit, zu einem Kunstwerk macht. Dieser Sinn lässt sich in einer analytischen Herangehensweise, aber manchmal auch schon beim Hören näher bestimmen.
  • Um sich diesen Aspekt selbst zu vergegenwärtigen, nehmen Sie sich beispielsweise eine einfache Komposition vor. Gibt es eine Form, die sich in mehreren Teilen schon dem Ohr offenbart? Oder lassen sich bei einem genaueren Blick in die Noten Taktgruppen feststellen? Gibt es Auffälligkeiten, die von der Erwartungshaltung abweichen? All diese Fragen beschäftigen sich mit dem musikalischen Sinn und werden damit dem Anspruch Absoluter Musik gerecht.

Programmmusik - mehr als "nur" Musik

  • Wie der Name schon sagt, kommt in der Programmmusik zum rein musikalischen Aspekt noch etwas anderes hinzu. Das Programm kann aus dem Bereich der Dichtung stammen, aber auch aus jenem der Malerei oder Philosophie.
  • Besonders gut geeignet für eine programmatische Musik sind Orchesterwerke - diese können rein instrumental oder auch zusätzlich mit Chor besetzt sein.
  • Zu den berühmtesten Vertretern der Programmmusik gehören die Begründer der "Neudeutschen Schule" - Richard Wagner und Franz Liszt. Wagner äußerte sich der Absoluten Musik gegenüber verächtlich und stellte ihr seine Idee des "Musikdramas" als einzig wahre Kunst gegenüber.
  • Liszt entwickelte die Gattung der Sinfonischen Dichtung. Eine Sinfonische Dichtung können Sie sich als ein meist einsätziges Orchesterstück vorstellen, in dem eine Geschichte, ein Ereignis oder eine abstrakter Idee musikalisch dargestellt wird.
  • Zu den berühmtesten Kompositionen auf dem Gebiet der Programmmusik stammen u.a. die "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgski. Hier hat der Komponist eine Reihe von Bildern als Vorlage genommen und sie musikalisch vertont.
  • Die immer wiederkehrende "Promenade" zeigt die Perspektive des Betrachters, der an den Bildern vorübergeht. Anhand der leichten Veränderungen in Melodik und Harmonik erkennen Sie als Zuhörer, inwiefern sich die Stimmung des Betrachters ändert und er mal fröhlich, mal nachdenklich zu sein scheint.
  • Weitere berühmte programmatische Kompositionen sind Hector Berlioz "Symphonie fantastique", Nikolai Rimski-Korsakows "Scheherazade" und Richard Strauss' "Till Eulenspiegels lustige Streiche". Die Komponisten nutzen teilweise höchst lautmalerische Mittel, um den außermusikalischen Inhalt möglichst plastisch wiederzugeben.
  • Wenn Sie die "Moldau" von Bedrich Smetana kennen, hatten Sie sicherlich den reißenden und wogenden Fluss vor Augen, wie er sich in seiner ganzen Macht und Schönheit präsentiert.

Absolute Musik vs. Programmmusik - die Debatte aus heutiger Sicht

  • Erkennen Sie sich in einer der oben beschriebenen Positionen wieder? Haben Sie sich auch schon einmal die Frage gestellt, ob Musik außermusikalische Inhalte benötigt, um eine Aussage zu haben? Diese Frage lässt sich aus heutiger Perspektive sicher noch viel differenzierter diskutieren als damals.
  • Die Begriffe "Absolute Musik" und "Programmmusik" sind erst im 19. Jahrhundert aufgekommen. Was aber ist nun mit Kompositionen, die früher entstanden sind, wie z.B. Vivaldis "4 Jahreszeiten"?
  • Genau genommen handelt es sich hierbei um Violinkonzerte - eine Gattung, die eher an Absolute Musik erinnert. Dennoch wird es Ihnen schwerfallen, nicht die Assoziation der Jahreszeiten und ihrer Charakteristiken vor Augen zu haben, wenn Sie diese Musik hören.
  • Sehr lautmalerisch ist z.B. die klirrende Kälte am Anfang des "Winter-Konzerts", die durch trockene, statische Streicherklänge hervorgerufen wird. Doch ist dies tatsächlich Programmmusik? Ist diese Musik nur verständlich, wenn der außermusikalische Inhalt bekannt ist? Hier wird die Einordnung schon schwieriger, zumal zu Vivaldis Zeiten noch nicht zwischen diesen beiden musikalischen Formen getrennt wurde.
  • Schwierig ist es auch bei romantischen Werken, die der Programmmusik zugeordnet werden, weil sie einen außermusikalischen Titel tragen. Ob der Komponist immer mit dieser Einordnung einverstanden gewesen wäre, bleibt jedoch zu hinterfragen.
  • Denken Sie z.B. an Schumanns Klavierzyklus der "Kinderszenen". Auf den ersten Eindruck hin, ohne Kenntnis der Stücke, würden Sie sicherlich eine programmatische Aussage vermuten. Die Tatsache jedoch, dass Schumann zu den Verfechtern Absoluter Musik zählte und seine Kinderszenen wahrscheinlich völlig anders konzipiert hat, setzen diese Vermutung jedoch in ein anderes Licht.
  • Kann man aus heutiger Perspektive wirklich bei jedem Werk genau sagen, ob es Programmmusik oder Absolute Musik ist? Diese Grenze ist vermutlich nur bei wenigen Werken klar auszumachen. Eine Beschäftigung mit jenen Kompositionen, bei denen die Wahl weniger eindeutig ist, wird dadurch besonders spannend.
  • Wenn Sie sich die Frage stellen, wann Musik für Sie eine Aussage hat, an welche Art von Werken denken Sie dann? Denken Sie an eine Musik, bei der Sie schon vorher wissen, was sie Ihnen sagt, z.B. bei einer Sinfonischen Dichtung? Oder denken Sie an eine Musik, die Ihnen möglicherweise etwas völlig anderes sagt als Ihrem Sitznachbarn im Konzert? Hierbei handelt es sich um verschiedene Arten von Aussagen, die jedoch beide ihre Legitimation haben.
  • Anstatt also zu überlegen, ob es sich um die eine oder die andere musikalische Form handelt, lassen Sie die Musik einmal unvoreingenommen auf sich wirken, ohne auf eventuelle Vorgaben zu achten. Möglicherweise unterscheidet sich Ihre eigene Ansicht auch bei einem programmatischen Werk von der außermusikalischen Vorlage. Ist die Komposition aber in diesem Fall keine Programmmusik mehr?
  • Was man im Konzert hört, liegt meist im Auge des Betrachters, bzw. im Ohr des Zuhörers. Die Zuordnung zu bestimmten Begrifflichkeiten ist sicher manchmal hilfreich. Ebenso reizvoll kann es jedoch sein, unabhängig von solchen Eingrenzungen über die musikalische Aussagefähigkeit zu diskutieren.
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