Alle Kategorien
Suche

Ukrainische Nachnamen - Suffixbedeutung erklärt

Die uralte Fehde zwischen Russland und der Ukraine spiegelt sich sogar in ukrainischen Nachnamen,
Die uralte Fehde zwischen Russland und der Ukraine spiegelt sich sogar in ukrainischen Nachnamen,
Namensforschung ist keine bloße Beschäftigung mit sprachwissenschaftlichen Prinzipien. Gerade Nachnamen verraten viel über Ahnen, Ursprung und Geschichte einer Familie. Geschichte wiederum hat immer Bezug zur Gegenwart - das haben Sie schon in der Schule gelernt. Bezeugt wird das in der Namensforschung zum Beispiel durch die folgende Tatsache: Ukrainische Nachnamen verraten Ihnen sogar etwas über den gegenwärtigen Krim-Konflikt.

Jan, wer? - Nachnamen als Differenzierungshilfe

Nachnamen gab es als solche nicht immer. Je weniger Menschen, umso leichter lassen sie sich anhand eines einzelnen Namens unterscheiden. Diesem Zweck können in gewissem Rahmen auch Vornamen dienen.

  • Sie kennen dieses Phänomen: Wenn Sie jemandem von Klaus erzählen, nennen Sie dessen Nachnamen nicht unbedingt. Sie nennen ihn nur dann, wenn Sie mehrere Personen namens Klaus kennen und die Differenzierung anhand des bloßen Vornamens so nicht mehr möglich ist.
  • Die Einführung von Nachnamen geht auf dieses Prinzip zurück. Sobald in einem Ort mehrere Personen denselben Vornamen trugen, differenzierte man sie anhand eines Namenszusatzes. Dieser Zusatz beschrieb seinen Träger mit charakteristischen Eigenschaften. Aussehen, Beruf und Charakter spielten dabei eine ebenso große Rolle, wie Geburtsort, Wohnort oder Familienabstammung.

"Sohn von" - Patronyme und Matronyme im Slawischen

Die Familienabstammung konnte durch den Namen von verwitweter und unverheirateter Mutter, durch den Vatersnamen oder Hinweise auf elterliche Berufe und Rufe in die Namenszusätze eingehen. 

  • Diese Art der Namensgebung nennt man Patronyme und, im Fall mütterlichen Ursprungs, Matronyme. Ob von Vater oder Mutter "vererbt" markieren Suffixe, also Endungen.
  • Für den slawischen Raum spielen Matro- und Patronyme eine Sonderrolle. Namensgebung auf Russisch bezieht bis heute zum Beispiel generell den Vatersnamen mit ein.
  • Der Name besteht so aus Vornamen, Vatersnamen und Familiennamen. Dieser Familienname wiederum entspricht oft genug dem Vatersnamen eines Ahnen aus grauer Vorzeit.
  • Ebenso verbreitet sind topografische Familiennamen, die Ortsbezüge herstellen. Es kommen aber auch solche vor, die sich auf die Charakteristika eines Vorfahrens begründen.
  • Typisch für Slawia ist übrigens ebenso die geschlechtsspezifische Ausführung von Namen. Ein Mann kann Pietr-ov(Patronymbezug)-Nullendung (männlich) heißen, aber seine Frau heißt statt dessen Pietr-ov(Patronymbezug)-a (weibliche Endung).

Patro- und Matronyme sagen daher viel über Familiengeschichte aus. In der Ukraine sogar über die Landesgeschichte.

Namen mit Tradition - was ukrainische Nachnamen über Landesgeschichte verraten

Die ukrainische Namensgebung zeugt von der Geschichte des Landes. Kaum ein anderes Land musste sich derart oft der Macht anderer Staaten unterordnen. 1918 macht die Ukraine erste Unabhängigkeitsanstalten. Nach dem ersten Weltkrieg teilt man  das Land aber zwischen Russland, Polen und der Tschecheslowakei auf. Der Einfluss dieser Mächte lässt sich bis heute an den Suffixen ukrainischer Nachnamen nachvollziehen.

  • Während viele Endungen auf russische Sprachstruktur zurückgehen, spiegeln einige das polnische oder gar litauische Sprachsystem. Das ist ein Relikt aus Zeiten, in denen die westliche Ukraine Teil des polnisch-litauischen Reichs war.
  • Die östliche und zentrale Ukraine gehörte wiederum zu Russland, bis deutscher Mauerfall, Perestrojka, Aufstände und Tschornobylkatastrophe ihr 1991 zur Unabhängigkeit verhalfen.
  • Als eigener Staat hat die Ukraine ihre eigene Sprachstruktur. Das zeigt sich ebenso anhand der Nachnamen. Neben typisch russisch und typisch polnischen Suffixen weisen sie teils auch typisch ukrainische Endungen auf.
  • Bis heute ist die Ukraine gespalten, denn Westen und Osten sind von verschiedener Tradition geprägt worden. Eher westlich angesiedelte Nationalisten bemühen sich seit Jahren um eine Befreiung von Sprache und Land.
  • Ausländische Einflüsse sollen im Zuge derer aus der Sprache beseitigt werden. So vor allem die russischen, da die Sowjetmacht die Ukraine ihrerzeit mit gewaltsamen Repressionen klein gehalten hat.
  • Prorussische Bewegungen im Osten stehen dem entgegen und fördern die russischen Einflüsse. Dieser Abgrund zwischen West und Ost spiegelt sich in Sprache und Namensgebung.

Ukrainische Namensgebung - die wichtigsten Einflüsse

Suffixe geben an, ob ein Nachnamen Ortsangabe, Patronym, Matronym, Berufsbezeichnung oder Eigenschaftsbeschreibung entspricht. So wie diese Markierung der Bezugsverhältnisse für alle anderen slawischen Sprachen gilt, funktioniert sie auch im Ukrainischen.

  • Wie diese Suffixe aussehen, bestimmen teils die ukrainische Sprachstruktur und das ukrainisch kyrillische Alphabeth. Auch innersprachliche Lautgesetze, wie das der Artikulationsraumangleichung, nehmen Einfluss darauf.
  • Eine wichtige Besonderheit des ukrainischen Alphabets ist zum Beispiel das lateinische "i", dessen verwandter Laut "ȉ", also "ji", nur im Ukrainischen existiert.
  • Die Artikulationsraumangleichung bedeutet, dass aufeinanderfolgende Laute im etwa selben Gaumenbereich realisiert werden. Das sorgt für erleichterte Aussprache. Eine Angleichung ist auch der von der lautlichen Umgebung abhängige Wandel von і zu j und u zu w.
  • Weitere Lautgesetze sind das des Vokaleinschubs beim Aufeinandertreffen mehrerer Konsonanten oder das der Palatalisierung, also Verweichlichung. H und g werden vor weichen Vokalen zum Beispiel auf zh "verweichlicht". K wird zu tsh und kh zu sh. 
  • Diese und weitere Lautgesetze sind ein Grund dafür, dass zu fast jedem Suffix unterschiedliche Varianten existieren. Welche wann gewählt wird, hängt in der Regel von der restlichen Lautfolge ab.

Nicht nur die Besonderheiten des Ukrainischen bestimmen aber die Gestalt der Suffixe. Einfluss haben auch die Gewohnheiten und Sprachbesonderheiten der Länder, unter deren Macht die Ukraine einst gestanden hat.

Die verbreitetsten Suffixe ukrainischer Namensgebung

Die verbreitetsten, ukrainischen Suffixe an Nachnamen entsprechen -ysyn/ -isyn, -enko / -ko  und -cyk / -czyk / -czuk / -cuk  / -yuk / -iuk /  -yak /-ak/ -ik. Es handelt sich um Patronyme. Nur -ysyn/ isyn entspricht einem Matronym.

  • Viele dieser Suffixe weisen eine Besonderheit auf: Es sind charakteristische Suffixe polnischer Namen. Besonders das Matronym -ysyn, wie in Romanyszyn(-a) vom weiblichen Romanykha, ist für das Polnische typisch. Hiermit werden im polnischen Stil also die Nachfahren von Romanykha markiert.
  • Auch  die patronymischen Formen -iuk, -czyk und -czuk verweisen auf polnischen Ursprung. So zum Beispiel in den Namen Pawel-iuk(-a), Pawel-czuk-(a) und Pawel-czyk(-a), die die Nachfahren des Paul markieren. Die Lautkombination cz ist für slawische Sprachen nicht der Regelfall und steht der russischen Lautstruktur sogar entgegen. Dasselbe gilt für die ostpolnische Form -iuk.
  • Wie die meisten Slawia arbeitet auch das Ukrainische neben den genannten häufig mit dem topografischem Suffix -skiy/ -skyj / -ski. Früher war diese Endung Adeligen vorbehalten. Das -s- markierte den Besitz.
  • Dass in der ukrainischen Namensgebung drei verschiedene Varianten des Suffix existieren, hat wie schon bei -ysyn/-ishyn,  -cyk/-czyk, -cuk/czyuk und -iuk/yuk nicht mit Lautgesetzen zu tun.
  • Die Form -ski entspricht der polnischen,  die sich durch deren lange Vorherrschaft auch in der Ukraine durchsetzen konnte. -skiy entspricht der russischen Form, für die dasselbe gilt. Die tatsächlich ukrainische Form lautet -skyj. Khmyelnyc'ki/ -c'ka, Khmyelnyc'kyj/-caja und Khmyelnyc'kiy/-ckaja sind daher drei gleichsam mögliche Namensvarianten.
  • Dieses Phänomen der verschiedensprachlichen Varianten kennt die Ukraine zu gut. Der ukrainische Wortschatz ist durch die Machtwechsel von anderen Slawia, wie Russisch oder Polnisch geprägt worden.
  • Im Zuge der nationalistischen Bewegung sollte sich die Ukraine von diesen Prägungen befreien und je die Varianten der eigenen Sprache benutzen. Das ist bis heute aber von wenig Erfolg gekrönt. Zwei- oder sogar Dreisprachigkeit ist die Folge.
  • Nach dem selben Schema finden auch die patronymischen Endungsformen -vych, vycz und -vich in der ukrainischen Namensgebung Verwendung. Während das -vych typisch russisch ist, entspricht das -vicz polnischer Form. Das -vich ist dagegen ukrainisiert.
  • So kann es für die Nachfahren von Jan in der Ukraine gleich drei patronymische Bezeichnungen unterschiedlichen Ursprungs geben: Jano-vych(-a), Janovi-cz(-a) und Jano-vich(-a). Die Formen entsprechend West, Ost und der Ukraine irgendwo dazwischen.
  • Gegen die ukrainische Form haben sich einige russische Formen, wie das Namenssuffix -ovie, sogar durchgesetzt. Diese Endung zeigt meist einen Eigenschafts- oder Ortszusatz an. Durchgesetzt hat sich auch das russische -yc, das häufig einen Berufszusatz im Namen markiert.
  • Eine typisch ukrainische Variante zur Eigenschafts- oder Wohnortsbeschreibung durch Namen endet auf das adjektivische Suffix -nyj. Bislang hat die ukrainische die russische Variante aber nicht verdrängen können.

Ukrainische Namen fernab des Ost-West-Konflikts

Die bisher genannten Suffixe haben es offenbart. Der Ost-West Konflikt der Ukraine, wie er sich 2014 mit der Krim-Krise wieder manifestiert, spiegelt sich in der Namensgebung. Das aber nicht durchgehend.

  • Relativ frei vom Ost-West-Abgrund und dem Prorussisch-Westlich-Konflikt sind die alten Kosaken-Nachnamen.
  • Aus gutem Grund ist die Kosakenzeit die Periode der Freiheit, in die sich schon ukrainischer Nationalheld und Schriftsteller Anton Tschechov zurück wünscht.
  • Die Kosakennamen leiten sich in der Regel von militärischen Berufen ab. Kompaniyets oder Kompanichenko sind Beispiele dafür.
  • Manche basieren auf persönlichen Eigenschaften, so wie Perevernykruchenko, Vyrvykhvist oder Kryvonis und die weibliche Form Navarykasha. Sie stammen etwa aus dem  15. bis 16. Jahrhundert. Damals werden ebenso stark vereinfacht Nachnamen wie Hohol, Orel, oder Horobets und Nudylo eingeführt.
  • Ähnlich wie die Kosakenzeit, ist auch die ukrainische Region Galizien häufiger Ruhepunkt des Ost-West-Konflikts. Hier herrscht Ursprünglichkeit, was Nationalschriftsteller wie Andruchowytsch mit der Region sympathisieren lässt.
  • Toponymische Nachnamen aus Galizien, also ursprüngliche Namen, enden in der Regel auf  - ets oder -iets und -iv.

Wie eskalationsfähig Konflikte, wie der Krim-Konflikt aber sind, lässt sich trotz solcher konfliktfreier ukrainischer Regionen nachvollziehen. An den bloßen Suffixen ukrainischer Nachnamen erkennen Sie, wie zerrissen das Land bis heute ist. Die russische Unterdrückung hat die Ukraine bislang nicht überwunden. Das gilt für die Sprache, aber umso mehr für die gesellschaftliche und politische Situation.

helpster.de Autor:in
Sima Moussavian
Sima MoussavianFür Sima liegt die Schule noch nicht weit zurück. Sie erinnert sich noch gut an die Inhalte. In ihrer Freizeit lernt Sima gerne neues und probiert sich dabei auch im Heimwerken.
Teilen: